Es war einmal ein alter Meister in Chado, Teezeremonie, der schönen Kunst, Tee zuzubereiten und zu servieren. Er war sehr erfahren in seiner Kunst und ein Stolz für seinen Herrscher, einen von Japans Provinzherren. Daher wollte der Provinzherr ihn gern mit sich haben, als es Zeit war, zum shogun, dem Herrscher des Landes zu reisen, um diesem seine Loyalität zu bekunden.
Es war notwendig, sich für diese Reise in die Tracht des Samurais zu kleiden, aber der Teemeister wusste nichts von der Schwertkunst und der Sitte der Samurais, und so bat er seinen Herren darum, ihm das zu erlassen. Der Provinzherr gab nicht nach, und so musste der alte Meister die zwei Schwerter in seinen Gürtel stecken, etwas was dem Stand der Samurais vorbehalten war, und mit nach Edo (dem jetzigen Tokyo) kommen.
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Der Shogun war von der schönen Teezeremonie des Meisters hingerissen und der Provinzherr schmunzelte, doch als der Meister an einem Tag in den Straßen von Edo spazierenging, traf er einen ronin, einen frei wandernden Samurai, der ihn sofort zum Duell aufforderte. Es war Sitte unter Samurais, ihre Geschicklichkeit aneinander zu prüfen, und der Teezeremoniemeister konnte um der Ehre seines Herren willen weder ablehnen noch zugeben, dass er kein Samurai war. Aber er bat seinen Herausforderer um einen Aufschub von einigen Stunden, um seinem Herrn mitteilen zu können, was bevorstand, und um seine Geschäfte abschließen zu können. Das wurde bewilligt.
Der Meister beeilte sich, den besten Meister der Schwertkunst aufzusuchen, den es in der Stadt gab und erklärte ihm, was ihm bevorstand.
„Ich weiß, dass ich ein solches Duell nicht gewinnen kann“, sagte er, „aber um meines Herrschers willen ist es notwendig, dass ich wie ein Samurai sterbe. Wollt ihr mich deshalb lehren, wie ich mich recht verhalten soll, damit mein Herausforderer die Wahrheit nicht ahnt?“
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Der Fechtmeister war zutiefst gerührt von der demütigen Bitte des Alten, fern vom Hochmut, den seine eigenen Schüler aufwiesen.
„Ich kann dir helfen“, sagte der Schwertmann, „wenn du zuerst deine Teezeremonie für mich ausführst.“
So geschah es, und der Schwertmann war von der Kunst des Alten hell entzückt.
„Nur eine Sache musst du wissen“, erklärte der Schwertmeister dann. „Wenn du vor dem Herausforderer stehst, zieh dein Schwert und denk dann genau auf dieselbe Weise, wie wenn du mitten in deiner Teezeremonie bist.“
Diese Anweisung verdutzte den Teezeremoniemeister, aber er ging zu dem besprochenen Duellplatz und tat, wie ihm gesagt worden war, zog sein Schwert und konzentrierte sich genau auf dieselbe Weise wie bei seiner Teezeremonie. Der Herausforderer zog auch sein Schwert und näherte sich seinem Gegner vorsichtig. Aber wie er auch probierte und versuchte, fand er in der Stellung des Teezeremoniemeisters keine einzige Blöße, keinen einzigen schwachen Punkt, gegen den er seinen Anfall richten konnte. Den Angriff gegen eine Stellung ohne die geringste Öffnung zu richten, das ist der sichere Tod. Als er seinen Gegner lang und gründlich auf diese Weise geprüft hatte, musste er deshalb aufgeben und senkte sein Schwert.
„Ich bitte um Verzeihung“, sagte der Herausforderer mit demütiger Stimme. „Ich verstehe, dass ich Euch unmöglich besiegen kann.“ Und er verließ den Platz.
In den Budokünsten wird die Grundposition, die Ausgangsstellung, Kamae genannt. Sie unterscheidet sich in Kendo, Judo, Karatedo, Aikido und den anderen Künsten, aber die Prinzipien sind die selben. Man soll bereit, entspannt sein und einen leeren Kopf haben. Das Schriftzeichen für den Begriff ist ein wenig merkwürdig, da es aus dem Zeichen für Holz oder Baum und für Spalier oder ähnliche zusammengefügte Konstruktionen besteht. Das gibt ein Bild von der Grundstellung als komplexe Konstruktion, wo jedes Teil seinen speziellen Platz und seine Funktion hat, und wo die Festigkeit des Ganzen darauf beruht, dass alle Teile ihre richtige Lage gefunden haben.
Shoji Nishio. Foto: Magnus Hartman.
Viele glauben, dass die beste Verteidigung angespannte Bereitschaft ist, dass man in seinem Kopf Unmengen von Techniken und Tricks haben soll, um sie anwenden zu können, wenn der Angriff kommt. Aber mit einer solchen Einstellung ist man leicht zu überlisten und in die Irre zu führen. Das Gehirn ist langsamer als die Hand und kann leicht besiegt werden. Das beste Kamae besteht darin, sich selbst von Plänen, Unruhe und Siegergelüsten zu leeren, so dass die Reflexe sich der Verteidigung annehmen. Mit einer solchen Einstellung kann man nicht überrascht werden.
Als der Teezeremoniemeister an seine Kunst dachte, wurde er auf diese Weise leer und rein im Inneren, wie in tiefer Ruhe. Daher konnte man keine Blöße sehen. Der Herausforderer wurde nicht in die Irre geführt, da es dem alten Meister vermutlich in diesem Zustand geglückt wäre, genau das Richtige zu tun, wenn er angegriffen worden wäre, obwohl er nie zuvor ein Schwert benutzt hatte.
Kamae ist wirklich eine Meisterprüfung. Schon da – bevor eine Bewegung eingeleitet wurde – unterscheidet sich der Anfänger markant von dem Erfahrenen. Es gibt unzählige Geschichten in Japan darüber, wie Duelle zwischen Samurais schon in Kamae entschieden wurden, ohne dass ein einziger Hieb gefallen war. Derjenige welcher ein überlegenes Kamae hat, verliert den Kampf nicht.
Der große Schwertmeister unserer Zeit ist der alte Kiyoshi Nakakura, graduiert zum neunten dan sowohl in Kendo als auch in Iaido (den zehnten Dan kann man in diesen Budoarten nur posthum zuerteilt bekommen). Er hat in seinen jüngeren Tagen auch Aikido trainiert. Nakakura erzählte mir einmal, wie er seine Danprüfungen durchführt. Er studiert nur das Kamae des Trainierenden, dann weiß er, welchen Dangrad dieser haben soll und sieht überhaupt nicht darauf, was sie unter der ganzen restlichen Prüfung machen. Hier und da passiert es trotzdem, dass er zögert – soll dieser Schüler den dritten oder vierten Dan haben? In einem solchen Fall hält er die Augen auf die allererste Bewegung. Gleich ob das ein Anfall oder ein Parieren ist, Nakakura weiß sofort, welcher Grad es wird – und schließt die Augen. Mehr muss er niemals sehen.
Kamae ist wie gesagt in den Budoarten jeweils ein wenig unterschiedlich. Das hat mit deren Techniken und Zielen zu tun. Im Judo steht man mit den Füßen genau unter den Schultern, so dass sie einige Dezimeter Abstand haben, aber kein Fuß ist vor dem anderen. Das ist die beste Ausgangsstellung für die vielen Würfe und Fußschwünge des Judo, wenn man schnell zwischen Verteidigung und Angriff wechseln will. In der grundlegenden Stellung von Karatedo macht man einen großen Schritt vorwärts, so dass der Körper gesenkt wird, das hintere Bein wird gestreckt und das vordere gebeugt. Die Füße stehen etwas mehr als schulterbreit. Die Position soll maximale Standfestigkeit und Kraft für die dynamischen Karate-Techniken geben. In Kendo macht man etwa einen halben Schritt vorwärts und hebt die hintere Ferse.
Tomas Ohlsson und Stefan Stenudd, aikibatto, Malmö.
Stefan Stenudd und Håkan Karlsson, Ven.
Die Füße befinden sich fast auf der selben Linie, ein gutes Stück näher zusammen als schulterbreit. Das macht man, um eine schmale Zielscheibe zu werden und sich in einem Ausfall mit maximaler Schnelligkeit nach vorn werfen zu können, ohne einen Satz machen zu müssen.
Im Aikido ist die gewöhnlichste Grundposition hanmi gamae, etwas länger als der halbe Schritt im Kendo und mit dem hinteren Fuß zur Seite zeigend, dem vorderen Fuß gerade nach vorne, und der Körper ist ein wenig zur Seite gewandt – so als wäre man auf dem Weg in zwei Richtungen gleichzeitig. Das ist auch eine der Ursachen. Man will Halt für freie Bewegungen zur Seite sowie nach vorne haben. Die erste Bewegung ist ja so gut wie immer ein Schritt schräg nach vorne. Der Winkel des hinteren Fußes nach außen bewirkt auch, dass man bedeutlich mehr Kraft für einen schnellen Schritt nach vorne hat.
Aber das vornehmste Kamae, das man im Aikido haben kann ist die Stellung, die keine besondere Stellung ist. Wir wollen diese Anti-Kamae nennen. Im Aikido akzeptiert man niemals den Kampf – man ist niemals darauf aus. Deshalb sollte man auch keine Stellung haben, die Bereitschaft für Kampf ausdrückt. Ein richtig harmonisches Aikido geht vom gewöhnlichen Spazierschritt aus, so dass man nicht einmal in der Ausführung der Techniken den Spaziergang unterbricht. Kamae ist nichts anderes als die Position, in der man sich zufällig befindet, wenn man mitten in einem Schritt stehenbleibt: der eine Fuß einige Zentimeter vor dem anderen, der Körper nach vorne gerichtet und die Hände entspannt an den Seiten herabhängend, wie es sich ergibt. Man spricht von shizentai, der natürlichen Körperstellung, und Morihei Ueshiba betonte: „In Aikido gibt es keine besondere Verteidigungsstellung, sondern wir stehen und bewegen uns völlig natürlich.“
Das Kamae von Aikido unterscheidet sich damit völlig von dem der anderen Budoarten. Es wird unsichtbar, nicht existierend. Deshalb hat es keine Schwächen. Es soll den Partner nicht warnen, indem es Bereitschaft und Können zeigt, es soll auch nicht die Wahlmöglichkeiten des Aikidoka begrenzen dadurch dass es nur zu einer bestimmten Verteidigung passt. Es soll nichts anderes sein als das, was es zufällig wird.
Wenn man in seiner Grundposition keine Wachsamkeit zeigt, schafft man keinen Argwohn, wenn man seine Integrität und seinen Willen zur Verteidigung nicht markiert, wird der Partner nicht zur Herausforderung animiert. Man wird wie Luft. Aggression braucht eine Zielscheibe, gegen die sie sich richtet. Das ist sowohl bei Menschen als auch bei Tieren dasselbe. Der Instinkt anzugreifen wird augenblicklich sowohl dadurch geweckt, dass man jemanden fliehen sieht, als auch dadurch, dass man jemanden sich zur Gegenwehr rüsten sieht. Nur der welcher keine Bedrohung zu bemerken scheint, kann den Angreifer dazu bringen, seine Absicht zu vergessen, oder sogar dazu, dass ihm niemals etwas derartiges in den Sinn kommt.
Mouliko Halén und Rose-Marie Millberg. Foto: Magnus Hart-man.
In der Ausführung von Aikidotechniken wendet man Kamae auch auf eine ziemlich paradoxe Weise an – um einen Angriff auszulösen. Dadurch, dass man eine Blöße in seinem Kamae zeigt, kann man den Partner dazu bringen, genau diese anzugreifen, in dem Augenblick, in dem man die Blöße zeigt. Man öffnet sein Kamae und lockt damit den Partner zum Angriff. Mit beharrlichem Training kann man auf diese Weise lernen, den Angreifer so unmerklich wie umfassend – und ausschlaggebend – zu manövrieren und manipulieren. Nicht einmal der wütendste Schwertkämpfer will direkt in die gedeckte Stellung des Gegners springen, aber nimmt er eine Blöße in der Stellung wahr, einen Mangel an Konzentration – da attackiert er unmittelbar. Wenn der Verteidiger es wählt, eine solche Blöße zu zeigen, kann er damit den anderen dazu bringen, seinen Anfall zu machen – und dieser richtet sich gerade gegen die gezeigte Blöße. Deshalb soll man im Aikidotraining immer zusehen, seinen Partner zu genau dem Angriff zu verleiten, für den man die Verteidigung übt – teils damit der Angriff glaubwürdig und durchführbar wirkt, und teils, weil man sich so in der Kunst übt, den Angreifer versteckt zu manövrieren.
Wenn man statt dessen immer ein uneinnehmbares Kamae behält, oder das Anti-Kamae, das den Angreifer seinen Willen zum Angriff vergessen lässt – da gibt es ja nicht viel zu trainieren.
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