Es wird von einem alten Samurai im alten Japan berichtet, der fühlte, dass seine Zeit gekommen war. Deshalb wollte er ein letztes Mal seine Söhne prüfen und sehen wie es um deren Reife und Fertigkeiten im Bushido, dem Weg des Kriegers, bestellt war.
Über der Schiebetür zu seinem Zimmer plazierte er ein kleines Kissen, so dass es fallen würde, wenn man die Tür öffnete, und rief dann seinen jüngsten Sohn herein. Als der Sohn in den Raum trat, fiel das Kissen und traf ihn an der Schulter. Aber bevor es den Boden erreicht hatte, hatte der Junge sein Schwert gezogen und das Kissen mit einem hochmütigen Kampfschrei in der Mitte zerteilt.
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„Pfui!“ rief der Vater aus und setzte mit scharfer Stimme fort: „Mein Sohn, du hast nichts von Bushido verstanden. Du musst viel, viel mehr trainieren!“
Nachdem er den betrübten Sohn des weiteren zurechtgewiesen und ihm Anweisungen gegeben hatte, wie er sein Training in der Kunst der Samurai fortsetzen solle, schickte der Vater ihn hinaus und setzte ein neues Kissen über seine Tür. Er rief nach dem zweitjüngsten seiner drei Söhne.
Knut Högvall, Uppsala.
Auch dieses Mal fiel das Kissen, aber bevor es den Jüngling traf, hatte der einen raschen Schritt zur Seite gemacht, sein Schwert gezogen und es entzwei geschlagen.
„Mein Sohn“, sagte der Vater mit ernster Stimme, „du übst unsere Kunst fleißig, aber das ist nicht genug. Du hast noch viel zu lernen und musst viel mehr trainieren.“
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Sobald der Sohn ihn verlassen hatte, machte er die selbe Sache mit einem dritten Kissen und rief nach seinem ältesten Sohn.
Der junge Mann wollte gerade die Tür zu seines Vaters Zimmer öffnen, als er in der Bewegung innehielt. Statt dessen glitt er mit der Hand nach oben und griff vorsichtig nach dem Kissen, bevor es sich auch nur von seinem unsicheren Platz bewegen konnte. Dann öffnete er die Tür, ging hinein und legte das Kissen erneut an den selben Platz.
„Mein Sohn, mein Sohn – du hast wahrhaftig den Weg der Krieger gelernt! Ich kann mit Stolz sagen, dass du mich nicht mehr brauchst“, sagte der Vater und lächelte warm. „Ich bitte dich, dich um deine Brüder zu kümmern und sie in ihrem fortgesetzten Streben recht zu leiten.“
Eine von den Inspirationsquellen, die Morihei Ueshiba am nächsten lagen, war die alte Kampfkunst Daito ryu Aikijutsu. Das Wort jutsu bedeutet Technik, Kunst oder Fertigkeit und betont also die praktische, funktionelle Seite einer Kampfkunst. In Schweden ist zum Beispiel ju-jutsu bekannt und hat ungefähr die selbe Bedeutung. Aikijutsu ist eine Strategie, um im Nahkampf zu gewinnen, von Samurais in Jahrhunderten geübt. In Japan gibt es viele hundert verschiedene jutsu, die von ausgewählten Samurais durch die Generationen weiter geführt wurden und so restriktiv wie derb trainiert wurden.
In dem Zusammenhang ist der Begriff Aiki nicht genau der Charakter eines geistigen Wegs, sondern eine praktische Vorgehensweise, um aus einem Kampf mit dem Sieg hervorzugehen. Man vereint sein Ki mit dem des Partners, um über ihn zu siegen. Wenn auch das Ziel im Vergleich mit dem des Aikido dürftig ist, so muss man doch konstatieren, dass die Strategie, die aus der traditionellen Bedeutung von Aiki hervorgeht, dennoch glänzend ist. Es ist im Grunde eine Frage des Rhythmus:
Grundlegende Selbstverteidigung pflegt in einer Art Zweitakt zu geschehen. Zuerst wird der Angriff des Partners blockiert oder pariert, dann wird er beantwortet. Eins, zwei. Das Problem ist dabei, dass der Partner gute Chancen hat, den Konter zu blockieren und dann seinerseits erneut anzugreifen. Wenn die Kontrahenten ebenbürtig sind, wird es womöglich ein unendliches Match, wie im Tennis – der Ball fliegt vor und zurück über das Netz, bis der eine ihn verfehlt oder der andere eine richtige Perle zum Smash verwandelt. In der Kampfkunst, die schon bei dem ersten auf diese Weise „gewonnenen Ball“ ein fatales Ende nimmt, sind solche Odds nicht gut genug.
Man versucht vielleicht, die Lage zu verbessern, indem man so schnell kontert, wie es nur möglich ist. Der Zweitakt geht über zum Vorteil für die Schnelligkeit, wie bei einem Doppelschlag auf der Wirbeltrommel: ta-tam. Wird das geschickt gemacht, so hat der Partner keine Möglichkeit, sich zu schützen, sein Angriff hat ihn hilflos entblößt. Schon da ist also der Angriff die schlechteste Verteidigung, und dieser Rhythmus ist der unvergleichlich gewöhnlichste in allen östlichen Kampfkünsten. Sie entwickelten Blockierungen und Paraden, die es möglich machten, am schnellsten zu kontern. Ta-tam.
Das ist jedoch nicht genug, und das ist nicht aiki, keine Vereinigung der Energie der Kontrahenten. Damit eine solche stattfinden kann, muss alles gleichzeitig passieren, beim ersten Schlag im Takt. Aiki impliziert, dass beide Kämpfer gemeinsam handeln. Die Samurais, mit ihren rasierklingenscharfen Schwertklingen, durften sich auf nichts anderes verlassen.
Eine einfache Übung, Schwert gegen Schwert, wiederholte Morihei Ueshiba sein ganzes Leben lang. Die beiden Schwertkämpfer führen genau gleichzeitig einen Schlag gegen den Kopf des anderen aus – aber wo der eine geradeaus geht, bewegt sich der andere schräg nach vorne, so dass der Hieb des Partners fehlgeht, sein eigener hingegen trifft. Er bewegt sich sozusagen weg vom Zug, aber schlägt ihn von der Seite. Wie das meiste in diesem Buch ist das bedeutend leichter zu beschreiben als korrekt auszuführen. Die Schwierigkeit liegt natürlich vor allem in dem, was wir Timing nennen: man muss es schaffen, gleichzeitig mit dem angreifenden Partner für seinen Hieb zu ziehen, und man muss in dem Augenblick zur Seite gleiten, da der Partner die Richtung seines Anfalls nicht länger ändern kann.
Das kann nicht mit angespannter Wachsamkeit zustandekommen, im Gegenteil sind Entpanntheit und eine bestimmte Art Feinfühligkeit nötig. Man muss sich selbst zugunsten des Partners vergessen, man reagiert fast wie er auf die Impulse dessen Willens, man ruht sozusagen in dessen Zentrum. Wenn er da den Impuls zu seiner Angriffsbewegung gibt, gibt er automatisch den Impuls für die Bewegung seines Kontrahenten. Sie finden zur selben Zeit statt.
Das wird durch Entspannung erreicht, dadurch, dass man den Angriff voraussetzungslos abwartet. Dann ist der gewinnende Schritt aus dem einfachen Grund möglich, dass der Angegriffene immer eine Sache weiß: worauf der Angreifer abzielt. Ein Angriff wird von dem Faktum begrenzt, dass er eine ganz bestimmte Richtung hat – auf den anderen zu. In aiki ist dieses Wissen mehr als genug, man muss nicht Bescheid wissen, welche Art Angriff das wird oder wie hart und stark er sein kann. Man geht aus dem Weg und weiß schon vor diesem Schritt, wo der Partner sich befinden muss, wenn er seinen Angriff gemacht hat. Da man weiß, woher er kommt und wohin er sich begibt, kann man voraussehen, wo er sich nach seinem Angriff befindet, und diesen Punkt ins Auge fassen anstatt der Position, von der er ausgeht. Und daher wird, wenn beide Hiebe gleichzeitig fallen, der eine verfehlen und der andere treffen.
Osensei Morihei Ueshiba. Foto: Yasuo Kobayashi.
Das ist der Grund von aiki: Der Rhythmus, das heißt, dass alles auf den ersten Schlag im Takt geschieht, und die Veränderung der Position, die bewirkt, dass der Angreifer verfehlt und der Angegriffene trifft. Die angenehme Lektion in dieser Strategie ist, dass der Angreifer dadurch verwundbar wird, dass er es wählt, anzugreifen. Wenn er selbst abwarten könnte, so würde er zweifelsohne auch den großen Vorteil von aiki genießen. Nur wer angreift, ist verwundbar für aiki. Am besten ist es also, niemals anzugreifen. Deshalb ist aiki nicht nur die schlauste aller Strategien, sondern auch die ethischste.
Jan Hermansson, Haninge 1982.
Aber wenn Aiki bei solchen strategischen Schlauheiten stehen bleibt, wird Aikido kaum mehr als ein, wenn auch noch so spitzfindiges, Selbstverteidigungssystem . Es gibt verflixterweise genauso einen Gewinner und einen Verlierer, was unweigerlich zu neuen Kontroversen führt. Wenn ein Angriff eingeleitet wird, kann man das so beschreiben, dass der Äther der Intention, den wir Ki nennen, eine Richtung bekommt, die die Bahn darstellt, welche der Angriff dann nimmt. Dieser Fluss von Intention ist die eigentliche Substanz des Angriffs, während die Technik und die Körperbewegung, welche folgen, sekundär sind – sowohl in der Zeit als auch in der Bedeutung. Wenn der Intention getrotzt, wenn sie gebrochen wird, wenn dieser Fluss aufgehalten wird, kann der Konflikt nicht anders als weiterbestehen, auch wenn der Angreifer im Grunde besiegt wird. Das aiki des Aikido ist statt dessen, dass der Verteidiger sein Ki, seine Intention, gemeinsame Sache mit der des Angreifers machen lässt. Sie sollen die selbe Richtung haben, einander wie Spielkameraden folgen, zu einem natürlichen Ende der Bewegung, deren Aussehen aus dieser Gemeinsamkeit geboren und durch sie geformt wird. Sanfte und elegante Techniken entstehen mit eigener Selbstverständlichkeit in dem Augenblick da die Intentionen und Kräfte von Angreifer und Verteidiger beginnen, in die selbe Richtung zu gehen. Man soll also die ganze Zeit darauf achten, dass die Aikidotechnik mit der Angriffsbewegung läuft anstatt gegen sie – den ganzen Weg die Technik hindurch.
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