Im Buddhismus spricht man von Hinayana und Mahayana als den zwei Wegen zum Heil. Die Wörter bedeuten etwa der kleine Wagen und der große Wagen. Das spielt an auf die Fahrt des Menschen von der Verwunderung und dem Suchen zur Erleuchtung, zur großen Gewissheit.
Hinayana ist, sich einsam in den Wagen zu setzen und zu seinem Ziel zu reisen. Das war das Gewöhnlichste im indischen Altertum. Wenn sie das mittlere Alter erreicht hatten, verließen viele Männer Haus und Heim, ihre Frau und die großgewordenen Kinder, um den Weg zu einer größeren Wahrheit, zum Sinn des Lebens zu finden – bevor es an der Zeit war, dass das Leben sie verließ. Für diese Männer waren Ewigkeit und Wahrheit Größen, die nur von einem einzelnen Menschen, von seinem unheilbar einsamen Selbst angetroffen werden konnten.
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Mahayana war stattdessen wie eine Gruppenarbeit. Mehrere Menschen, die alle den Sinn von all dem hier finden wollten, wurden in einem Wagen gesammelt und begaben sich auf eine gemeinsame Fahrt. Sie konnten einander dabei Unterstützung, Rat und Hilfe auf dem Weg geben. Ja, sie waren sicher darin, dass so große Wahrheiten, wie sie sie suchten, nur durch die gemeinsame Anstrengung mehrerer Menschen erreicht werden konnten.
Åsa Scherrer und Urban Aldenklint. Foto: Magnus Hartman.
Der Einsame geht in die Irre, so meinten sie, aber die Gruppe leitet ihre Mitglieder recht.
Sicher kann man wohl eine allgemeingültige Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen beiden Wegen finden – aber während die selbstgewählte Einsamkeit die Unterstützung und Hilfe der Gruppe ausschließt, ist auf der gemeinsamen Fahrt die individuelle, private Erfahrung nicht unmöglich. Es scheint mir, dass Mahayana automatisch eine Kombination von beiden Wegen wird. Obwohl zugegeben werden muss, dass eine Gruppe – das hat die Geschichte oft bewiesen – genau so hoffnungslos in die Irre gehen kann wie ein einsamer Reisender. Es ist auch manchmal so, dass ein Suchender es schwer hat, Gleichgesinnte zu finden, die im Wagen Platz nehmen könnten. Wenn es um die großen, ewigen Fragen des Daseins geht, gibt es keine Garantien.
Budo ist auf jeden Fall ausgepräges Mahayana. Man fährt zusammen. Wer glaubt, dass die Trainingskameraden nur geliehene Werkzeuge für die eigene Entwicklung sind, kann auf dem Weg nicht viele Schritte machen. Man muss einander aus ganzem Herzen helfen und voneinander lernen, in einem ständigen Fluss zwischen Mensch und Mensch. Man spricht im Budo vom Spiegelbild. Der Partner ist ein Spiegelbild meines Aikido und meiner Geistesverfassung, die Schüler sind ein Spiegelbild der Einsichten und des Könnens ihres Lehrers.
Es ist eine alte Weisheit, dass man einen Lehrer nach seinen Schülern beurteilen soll. Auf diese Weise kann man sowohl wirkliche Größe als auch peinliches Ungenügen erkennen. Ebenso ist kein Ausübender besser als er es mit dem am wenigsten fähigen Partner zu sein vermag. Harmonie, Eleganz und Natürlichkeit sollen die Bewegungen des Aikido auszeichnen, mit wem immer man sie ausführt. Man bedient sich der Techniken keinesfalls, um einen Sieg zu erringen, sondern um sowohl sich selbst als auch seinen Partner in Harmonie und Natürlichkeit zu üben. Wenn die Technik ausgeführt wurde, sollen beide sich bereichert fühlen. Mit fortgesetztem Training sollen beide der Wahrheit näher kommen. Wer mit der Absicht zum Dojo kommt, nur an seiner eigenen Entwicklung zu arbeiten, hat es schwer, etwas zu lernen, er wird mit einer solchen Einstellung viel zu blind, um die eigenen Mängel zu erkennen oder eine bessere Weise für die Ausführung seines Aikido zu ahnen. Er steht still, und wer mit ihm trainiert, fühlt Unbehagen.
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In alten Zeiten wurde eine solche Einstellung als Budo des Todes bezeichnet. Man kann damit gewiss lernen, seinen Partner zu verletzen und den einen oder anderen Kampf zu gewinnen, aber nicht, dem Partner Leben, Lust und Wohlbehagen zu schenken. Man wird eine allzu harte Klinge, die eines Tages brechen muss. Wer in seinem Training den Gedanken an Selbstverteidigung nicht aufgeben kann, den Traum davon, unüberwindlich zu sein, fällt in diese Falle.
Foto: Magnus Hartman.
Ebenso im Geist des Mahayana liegt die Einsicht, dass Aikido nicht etwas ist, das man kaufen oder erobern kann – man bekommt es als Geschenk. Aikido ist eine Gabe – von dessen Gründer, Morihei Ueshiba, von seinen Vorgängern und Nachfolgern, von den Lehrern, mit denen man selbst trainiert hat und von allen Trainingskameraden. Die einzige Möglichkeit, die man hat, diese Gabe zu vergelten, ist, dass man sie weitergibt, anderen schenkt, egal ob man das als Lehrer oder als Partner macht. Darin ist kein Platz für Eigensinn. Als Partner soll man danach streben, seinem Trainingspartner alles zu geben, was er braucht, und als Lehrer, seinen Schülern alles zu geben, was man vermag. Für den Schüler soll es wichtiger sein, dass der, mit dem man trainiert, etwas lernt und sich entwickelt, als dass man das selbst tut, und für den Lehrer das selbstverständliche Ziel, dass seine Schüler ihn in ihrer Entwicklung überholen und über ihn hinauskommen.
Mahayna beinhaltet, dass, solange nicht alle eine gewisse Höhe erreicht haben, diese eigentlich von niemandem erreicht wurde.